Kommentar: Kompetenzlogik für Dummbürger

Zur Zukunft der Siedlung am Geflügelhof werden die Bewohner der Siedlung nicht gefragt. Dafür haben sie schließlich kompetente Politiker in den Gemeinderat gewählt. Und Bürger mitreden lassen, ist ohnehin kontraproduktiv, hat Otmar Dallinger (FW), einer dieser Kompetenzpolitiker erklärt: „Wir können England als Beispiel nehmen, was rauskommt, wenn man die Bürger befragt.“

Faszinierend an dieser Argumentation bei Fragen der Bürgerbeteiligung ist ja immer wieder, dass der Wahlbürger tauglich genug ist, um Experten wie Dallinger in den Gemeinderat zu wählen, weil die dann gute Entscheidungen für den Dummbürger treffen. Entscheidungen selbst zu treffen, dafür ist der Wähler allerdings nicht kompetent genug. Dass hier möglicherweise eine kleine Logiklücke in der Argumentation liegt, übergehen die Kompetenzpolitiker zwischen Wahlterminen gewissenhaft.

Wollte man jetzt den Vergleich mit Großbritannien – „England“ gilt auch, passt scho – ernst nehmen, so ergibt sich aus der Abfolge der Ereignisse doch wohl, dass der Dummbürger dort einzig eine Frage beantwortet hat, die ihm von Kompetenzpolitikern vorgelegt worden war. Das daraus resultierende unzweifelhafte Chaos haben doch wohl eher die Kompetenzpolitiker bei der Umsetzung dieses Votums verursacht.

Bald sind wieder Kommunalwahlen, bei denen der Dummbürger wieder kompetent genug sein darf, seine Kompetenzpolitiker zu wählen. Im Wahlkampf wird der Dummbürger umworben werden wie ein kompetenter König. Und die 24 Kompetenzpolitiker, die dann gewählt werden, werden finden, dass der Wähler maximal kompetent entschieden hat. Leider ist er in der Folge dann zu inkompetent, um zu irgendeiner Frage gehört zu werden.

Ein Lesermail

  1. Liebe Leserinnen und Leser,

    die Kommentierungen zur Entscheidung des Gemeinderats zur Befragung beziehungsweise dem Angebot von Bürgermeister Sebastian Thaler zur Befragung der Bürgerinnen und Bürger zum Geflügelhof ist deutlich.
    Als Gemeinderat und Kommunalpolitiker habe ich meine Funktion immer so verstanden, dass ich Repräsentant der Bürgerinnen und Bürger bin, die mich gewählt haben und nicht nur dieser, sondern aller Echingerinnen und Echinger. Treten Fragen auf, die wichtig sind, müssen diese allen Bürgerinnen und Bürgern vorgelegt werden – ein Ratsentscheid, vom Gemeinderat initiiert, wäre dann die richtige Maßnahme.
    Oder ich organisiere einen Bürgerentscheid, wenn der Gemeinderat meint, er wisse es besser als seine Wähler. So wie ich es mit vielen unseren Mitstreitern für die Erschließungsstraße Baugebiet Eching-West getan habe. Leider gegen den erklärten Willen vieler Echinger Räte.
    Die Kommunalwahl 2014 hat dann gezeigt, dass offenkundig nicht alle Echinger sich das gefallen lassen wollten, und sie haben 1/4 der Sitze mit neuen Gruppierungen besetzt. Zwei Sitze für die Grünen, drei Sitze für die „Bürger für Eching“ und ein Sitz für die „Echinger Mitte“. In Anbetracht der Entscheidung, die der Echinger Gemeinderat zum Geflügelhof getroffen hat – Ablehnung der Befragung zum Wechsel nach Unterschleißheim – erscheint mir das heute viel zu wenig. Der Proporz hätte für mich umgekehrt sein müssen: 75 % neue Gemeinderäte!

    Die meisten Kommunalpolitiker halten scheinbar wie gewohnt an ihrem bisherigen Standesdünkel fest, dass sie bessere Entscheidungen treffen als ihre Bürger. Das ist aber mitnichten der Fall. Wir Gemeinderäte sind nicht besser als die Bürger und wir sind alle ersetzbar. Und der größte Teil der Bürger hat die Kompetenz, uns zu ersetzen, oder ist sogar besser. Also warum nicht konkret, wie Bürgermeister Thaler es vorgeschlagen hat, die Bürgerinnen und Bürger am Geflügelhof dazu zu befragen, ob sie denn weiter in der Gemeinde Eching politisch als auch territorial leben wollen.
    Es gibt gute Gründe, wenn sich Menschen für eine andere Zugehörigkeit entscheiden. Mit einem Blick auf die Karte wird uns Zentral-Echingern eigentlich klar, dass das Siedlungsgebiet am Geflügelhof wesentlich näher und konkret dichter an Unterschleißheim liegt als an Eching. Sebastian Thaler hat bei der Bürgerversammlung die Bürger gefragt bzw. ihnen angeboten, ob man sie befragen möge. Diese Frage hat er wie versprochen in den Gemeinderat gegeben. Dieser lehnte nun mehrheitlich mit den Stimmen von SPD, der Freien Wähler und CSU die Befragung ab, ob denn die Bürgerinnen und Bürger am Geflügelhof bei Eching bleiben wollen oder nicht.

    Hier mag ich gern zitieren: „Unser Volk braucht wie jedes andere seine innere Ordnung. In den Siebziger Jahren werden wir aber in diesem Lande nur so viel Ordnung haben wie wir an Mitverantwortung ermutigen. Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, dass nicht nur durch Anhörungen im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“

    Das war vor knapp 50 Jahren in der Regierungserklärung von Willy Brandt vom Oktober 1969. Manche Abgeordnete, manche Gemeinderäte haben in meinen Augen nichts verstanden. Demokratie ist nicht nur repräsentativ, sondern auch manchmal in verpflichtender Nachschau, ob ich denn selbst richtig liege als Repräsentant, auch besser „direktdemokratisch“.

    Am 15. März 2020 sind in Bayern Kommunalwahlen und damit auch Gemeinderatswahlen. Ich darf Sie jetzt schon bitten, Punkte zu sammeln für diejenigen, die wahre Demokraten sind und wissen, wer der Souverän ist.

    Historisch gesehen arbeiten wir die Fehler von Jahrhunderten ab. Wir haben unsere Verfassung geändert vom Gottesgnadentum weiter zur Standesgesellschaft mit Ständewahlrecht hin zum Männerwahlrecht, hin zum Frauenwahlrecht, hin zur Mitbestimmung; hin zur Gleichberechtigung und hin zu Bürgerbegehren und Volksentscheid. Richtigerweise hätte aber die Entwicklung anders stattfinden müssen: Indem sich nämlich die Gruppe, die sich zusammengehörig fühlt, nämlich z. B. ein Volk, überlegt, wie die Rechte des Einzelnen übertragen werden auf andere und der Einzelne diese Rechte kontrollieren und gegebenenfalls wieder zurückrufen kann. Der Begriff des Souveräns ist offenbar den meisten Echinger Räten nicht bekannt. Diese Entwicklung vom Souverän hin zu einem „Contrat Soczial“ ist leider den meisten politischen Köpfen nicht bekannt.

    Ich kämpfe nunmehr in der dritten Wahlperiode als Mitglied des Bundesvorstands von „Mehr Demokratie“ darum, dass diese Erkenntnisse in den Köpfen aller Politiker landen. Auf allen politischen Ebenen. Ich wäre dankbar, wenn sich der Gemeinderat in Eching noch einmal sein Votum im Hinblick auf die Bürgerinnen und Bürger, die am Geflügelhof leben, überlegt. Falls er es nicht tut, kann ich nur dem Wähler empfehlen, sein Votum zu korrigieren und beim nächsten Mal nicht nur 25 % „neue“ Gruppierungen in den Gemeinderat zu wählen, sondern 75 %. Erst dann wird sich etwas ändern und manche Gemeinderäte erst verstehen, dass sie andere, die mindestens ebenso gut sind, Entscheidungen zu treffen, wie sie selbst, übergangen haben.

    Bertram Böhm (Gemeinderat „Echinger Mitte“, Mitglied des Bundesvorstands von „Mehr Demokratie“)

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