Lesermail zum Artikel „‚Sein Stuhl passt nicht an unseren Tisch‘“

Liebe Frau Ellegast,

Ihr Tagebuch habe ich sehr aufmerksam gelesen – wie auch schon Ihren Brief, den Sie (u.a.) mir nach der Sitzung am 15. Dezember letzten Jahres geschickt haben. Ihr Brief hat mich nicht kalt gelassen und auch Ihre Tagebuchschilderungen verfehlen ganz und gar nicht ihre emotionale Wirkung auf mich. Am allerwenigsten, wenn es dabei auch um Kinder geht.

Kinder zu bekommen und für die wachsende Familie einen geeigneten Wohnraum zu finden und zu gestalten, kann sowohl das Schönste wie auch das Frustrierendste sein. Knapper Wohnraum, hohe Mieten, kaum Grundstücke, die es zu erschwinglichen Preisen auf dem Markt zu kaufen gibt, stetig steigende Baukosten – das sind Faktoren, die dafür sorgen, dass der Traum vom eigenen Haus sehr schnell unerreichbar erscheint und selbst der Traum von einer ausreichend großen Mietwohnung zu bezahlbaren Konditionen zum Albtraum werden kann. Gemeindliche Wohnbaumodelle, mittels derer zumindest der Baugrund günstiger wird, lassen wieder Hoffnung aufkeimen. Auch hier bei uns in Eching.

Die lange Zeit, bis endlich die Rahmenbedingungen für die Vergabe stehen, die Baugebiete geplant und ausgewiesen werden und der Prozess der Vergabe in Gang kommt, zieht sich nicht nur von außen betrachtet schier unendlich in die Länge. Selbst wir, die wir quasi an den Stellschrauben sitzen, können nur bedingt dieses komplexe System beschleunigen. Dringend gewünschte Veränderungen beim Bebauungsplan – die zum Beispiel höhere Dachneigungen vorsehen – bewirken nicht nur eine weitere Zeitverzögerung, sondern erhöhen auch – was ja das beabsichtigte Ziel war – den möglichen umbauten Raum.

Nicht alle – so wie Sie auch – empfinden das als positiv, denn mehr Raum treibt auch die Baukosten nach oben und gefährdet möglicherweise die Finanzierung. In der Summe betrachtet ist dies wohl für alle, die hoffen, bei der Vergabe der Grundstücke berücksichtigt zu werden, eine einzige Achterbahnfahrt. Eine Achterbahnfahrt, die zudem nicht auf sicherem Boden, sondern mit der Nachricht endet, dass es ab sofort keine Verkaufsgrundstücke mehr im Echinger Modell gibt. Für alle, deren Hoffnungen sich u.a. auf die Vergabe der Verkaufsgrundstücke in Eching-West fokussiert haben, ist das sicherlich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich würde wohl genauso reagieren und könnte nicht verstehen, warum Teile des Gemeinderats und der Bürgermeister so eine Entscheidung treffen können.

Bezogen auf Ihre persönliche Situation muss Ihnen unser Vorgehen wenig nachvollziehbar, unzuverlässig und nicht konsistent erscheinen. Dafür habe ich vollstes Verständnis und ich nehme Ihre (und auch die anderer enttäuschter Bürgerinnen und Bürger) massive Kritik auch ohne zu zögern an. Ich darf mich aber als Gemeinderätin nicht dazu verleiten lassen, eine einzige Sichtweise zu haben. Ich muss versuchen, alle möglichen Umstände, Gegebenheiten und Bestimmungen sowie auch die Bedürfnisse der anderen Bürgerinnen und Bürger zu sehen und das nicht nur im jetzigen Moment, sondern idealerweise auch im Hinblick auf die kommenden Jahre.

Für mich haben die Erlebnisse der letzten Monate ein extremes Umdenken bewirkt, so dass ich den Richtungswechsel vom Dezember 2020 für richtig halte und ihm zugestimmt habe. Das Jahr 2020 – so hatte ich das auch im Brief an Sie formuliert – hat neben den weiterhin ungebremsten Entwicklungen im Immobilienbereich sowie den stetig steigenden Baukosten auch noch andere einschneidende Veränderungen mit sich gebracht. Die Sorge, dass unsere Wirtschaft noch mehr und noch weit über die Pandemie hinaus angeschlagen sein und uns alle das in hohem Maße treffen wird, wirkt sich für mich sehr intensiv auf die Überlegungen im Wohnungsbau aus. Die Erfahrungen in der Böhmerwaldstraße zeigen uns, dass Finanzierungen trotz der extrem niedrigen Zinsen eine fast übergroße Belastung für die Bauwerber*innen sein können. Auch Sie formulieren in Ihrem Tagebuch mehrmals, dass Sie rechnen und kalkulieren müssen. Oftmals sind die Finanzierungen – so habe ich den Eindruck – extrem auf Kante genäht, nichts darf passieren, sonst gehört das Traumhaus irgendwann der Bank.

So betrachtet war für mich die Möglichkeit, weg vom Verkauf der Parzellen hin zum Erwerb im Erbbaurecht eine sehr schlüssige. Ich sehe darin tatsächlich Vorteile. Ich weiß natürlich auch, dass das derzeitig niedrige Zinsniveau einen Kauf sehr viel sinnvoller erscheinen lässt. Der Erbbauzins muss ebenfalls erwirtschaftet und gezahlt werden und zwar bis ans Ende der Laufzeit – und dann gehört das Grundstück immer noch der Gemeinde. Aber ist der Zins- und Schuldendienst an die Bank tatsächlich eins zu eins mit den Belastungen durch die Erbpacht vergleichbar? Es geht ja auch darum, die Zahlungsfähigkeit über die Jahre hinweg aufrecht zu erhalten. Die Tilgungsraten, die zwar am Ende dafür sorgen, dass wir Eigentum haben, können uns während der Kreditlaufzeit durchaus die Luft zum Atmen nehmen. Und Banken sind keine Wohlfahrtsunternehmen, die darauf Rücksicht nehmen können, in welcher Situation sich die Kreditnehmer gerade befinden.

Junge Familien haben möglicherweise nur ein Gehalt, über das sie verfügen können. Falls beide Elternteile arbeiten, dann wird ein Teil dieses Einkommens bereits stark durch die notwendige Kinderbetreuung dezimiert. Das heißt, jede hundert Euro zählen und ich denke, dass somit bereits ein Unterschied von einigen hundert Euro zwischen Schuldendienst und Erbbauzins eine große Wirkung haben kann. Mag sein, dass Kredite angeboten werden, die den Satz von 1,5 % noch unterschreiten und somit das Erbbaumodell tatsächlich unattraktiver machen. Aber ich bin überzeugt davon, dass in diesem Fall der Kreditvertrag wohl an anderer Stelle seine massiven Mängel aufweist. Zum Beispiel bei der Zinsbindungsfrist, die ja in diesem Zusammenhang äußert wichtig ist, wenn es darum geht, einen Betrag von 600.000 Euro (und mehr) über viele Jahrzehnte hinweg zu finanzieren. (Sie haben einen Betrag von 900.000 € erwähnt, den Sie in ein Bauvorhaben investieren müssten. Davon habe ich mal rein hypothetisch eine Summe X abgezogen, die ihr Eigenkapital darstellen könnte.)

Mal losgelöst von Ihrer persönlichen Situation: Ich stelle mir eine durchschnittliche Familie vor, die innerhalb des Rasters der Vergabekriterien ist, die also nur ein bestimmtes Einkommen und einen gewissen Betrag an Vermögen haben darf. Diese Familie bekommt den Zuschlag für ein Grundstück, beauftragt einen Architekten/eine Architektin, baut ein Häuschen, möchte es einrichten, den Garten anlegen, aber auch weiterhin in Urlaub fahren, ab und an Konzerte und Restaurants besuchen, den Kindern Sport- und Musikunterricht ermöglichen, etwas für die Rente zurücklegen, dafür sorgen, dass etwas für die spätere Ausbildung der Kinder übrig bleibt und, und, und…. Genau diese Überlegungen – das erwähnte ich auch in meinem Brief an Sie – hatte uns bereits damals umgetrieben, als wir im Gemeinderat begonnen haben, die Kriterien für das Echinger Modell aufzusetzen. Wir haben viele Stunden damit zugebracht, ganz unterschiedliche Beispiele durchzudenken, welche Familien mit welchem Hintergrund den Zuschlag für ein Grundstück im Echinger Modell erhalten würden und wie die Finanzierung aussehen könnte.

Wir haben uns mehr als einmal die Frage gestellt, welche moralische Verantwortung wir haben, wenn wir Grundstücke zum Kauf anbieten und dies Familien zu wagemutigen Finanzierungen veranlassen würde. Immer mehr hat uns der Gedanke belastet, dass diese Form der Förderung womöglich nicht mehr zeitgemäß sein könnte, weil die Preise davongaloppieren und es trotz der hohen Abschläge immer schwieriger wird, ein solches Projekt zu stemmen. Nachdem das Interesse und die Resonanz so enorm hoch waren und sind – hat Eching doch schon so lange auf Neuausweisungen warten müssen – haben wir alles darangesetzt, einen vernünftigen Rahmen an Kriterien zu schaffen.

Das ist jetzt einige Jahre her. Die Lage auf dem Immobilienmarkt hat sich weiter verschärft, die Baukosten befinden sich auf höchstem Niveau und ein Angebot an bezahlbaren Immobilien ist nicht wirklich vorhanden. Einziger Trost für künftige Häuslebauer*innen: Die Zinsen sind weiterhin niedrig, aber wie lange noch? Wie schnelllebig alles ist und wie rasch sich Dinge ändern können, erleben wir in der derzeitigen Krise täglich neu. Wie geht es in den nächsten Jahren weiter? Wird es uns persönlich – als Familie, als junges Paar, als Alleinstehende/r – möglich sein, stringent unseren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, die wir auf uns genommen haben, um Wohneigentum zu realisieren? Oder mussten wir nicht in den vergangenen zehn Monaten feststellen, dass unser Leben, wie wir es gewohnt sind, auf tönernen Füßen steht und selbst vermeintlich sichere Arbeitsplätze plötzlich zur Disposition stehen können?

Der Gedanke, ein Eigenheim zu schaffen, das irgendwann wieder aufgegeben werden muss, weil es nicht mehr zu bezahlen ist, bereitet mir mindestens ebenso viel Unbehagen wie die Tatsache, dass wir viel zu wenige Grundstücke für alle Echingerinnen und Echinger haben, die so sehr gerne endlich ein passendes Zuhause für ihre Familien haben möchten. Diese Erkenntnis muss meiner Ansicht nach gerade jetzt auch darin münden, dass wir das große Ganze im Auge behalten. Grundstücke, die bebaut werden können, sind endlich. Wie werden die Generationen nach uns wohnen? Werden sich nach einer Immobilienkrise, ausgelöst durch dramatische wirtschaftliche Verwerfungen, die uns durchaus treffen könnten, einige wenige den Grund und Boden teilen und dadurch mehr denn je die Möglichkeit haben, die Konditionen am Markt zu bestimmen? Ist nicht spätestens jetzt der Augenblick da, dass Kommunen dafür Sorge tragen müssen, dass sie Grundstücke in ihrem Portfolio behalten, um zu einem Zeitpunkt X die Möglichkeit zu haben, die Grundstücke für unsere Nachkommen neu zu bebauen und neu zu gestalten, falls die Erbbaurechtnehmer*innen ihr Recht nicht weiter in Anspruch nehmen möchten? Nur einem Teil unserer Generation, die wir momentan Kinder haben, die noch nicht erwachsen sind, wird es möglich sein, den potentiellen Erben Wohnungen, Häuser und Grundstücke zu hinterlassen.

All diese Erfahrungen – und auch hier wiederhole ich mich, da ich Ihnen das so auch im Brief geschrieben habe – aus diesem so turbulenten Jahr haben für mich dazu beigetragen, zu der Erkenntnis zu kommen, dass jetzt sofort ein Schritt in eine neue Richtung notwendig ist. Ein Schritt ohne Puffer und ohne Übergangsphase, damit wir alle in dieser Gemeinde möglichst schnell von den Effekten daraus profitieren können. Auch im Hinblick auf die gemeindliche Bodenpolitik, die in diesen spekulativen Zeiten größtmögliche Nachhaltigkeit verlangt (also nicht nach dem Motto Lage, Lage, Lage, um bei der Verwertung so viel wie möglich zu erzielen, sondern die Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen…), und in Anbetracht der Tatsache, wie sich womöglich die Einnahmensituation in der Gemeinde weiterentwickeln wird.

Sie haben an uns appelliert, dass wir Gemeindevertreter*innen mutig, schnell, kreativ und innovativ sein sollen. Ja, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, wir brauchen neue Wege, gerade in der Wohnbaupolitik. Die alten Wege scheinen mehr und mehr Sackgassen zu sein und deshalb müssen wir jetzt umdenken. Das hat natürlich auch zur Folge, dass in der Umbruchphase die damit einhergehenden Veränderungen und Zäsuren auch mit voller Wucht die Menschen treffen, die wir eigentlich unterstützen und fördern wollen.

Aber dies soll ja kein statischer Zustand sein, dass wir Sie enttäuscht und entmutigt zurücklassen. Wir möchten ja gerade für Echinger Familien etwas Positives schaffen. Wir möchten nicht, dass Echinger Familien wegziehen und ihre Heimat verlassen müssen. Aber nicht allein unsere Entscheidung vom 15. Dezember 2020 sorgt dafür, dass Sie scheinbar ohne Perspektive sind. Ein über viele Jahre hinweg gierig gewordener Markt hat dafür gesorgt, dass wir unsere Vorstellungen von Wohnen auf den Kopf stellen müssen und wir auch als Gemeinde unsere Verantwortung für alle und nicht nur für einzelne in ganz besonderer Weise wahrnehmen sollten. Das Erbbaumodell ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die überdacht und optimiert werden können. Der 15. Dezember 2020 kann also auch der Startschuss für eine wichtige Wende werden.

Ihr Tagebuch endet sicherlich nicht mit dem 15. Dezember 2020. Darin gibt es viele tausend Seiten, die beschrieben werden können, und ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles Gute. Auf dass auf einer Seite geschrieben sein wird: Wir sind endlich in Eching umgezogen!

Mit vielen Grüßen
Stefanie Malenke, Gemeinderätin (SPD)

2 Lesermails

  1. Verehrte Frau Malenke,

    erstmal Danke für ihre Antwort, so kann man diskutieren und sich austauschen.

    Ich kann ihren Argumenten nicht überall folgen. Gute Gemeindepolitik versucht, alle Bürger einzubinden, dies ist aber mit dem Beschluss Erbpacht nicht geschehen. Warum muss die Erbpacht zu 100 % umgesetzt werden? Bei 80 zu 20 hätte man Bürger, die kaufen wollen, nicht so vor den Kopf gestoßen.

  2. Liebe Frau Malenke,

    ich schätze Ihre differenzierte Antwort sehr und bin sicher, dass wir auch in Zukunft gemeinsam gute Projekte für Eching initiieren können. Vorausgesetzt, wir finden hier eine machbare Perspektive…

    Herzliche Grüße
    Jill Ellegast

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