Betreff: Re: AW: Wahlergebnis

Nun gibt es sicher Gründe, bei den Landtagswahlen die FW zu wählen. Aber warum gibt es einen dramatischen Zuwachs in der Zustimmung für diese Partei, wenn sich ihr Spitzenkandidat einer Affäre ausgesetzt sieht?

Ich persönlich halte Hubert Aiwangers Umgang mit dem widerwärtigen Flugblatt aus seiner Schulzeit für windelweich und eine verlogene Respektlosigkeit gegenüber dem Land und insbesondere dem Ministerpräsidenten. Aber selbst wenn man das nicht so sieht und Aiwanger für völlig unbeschadet hält: was an der Affäre motiviert dazu, der FW eine Stimme für die Gestaltung der bayerischen Politik zu geben, wenn man das vor der Affäre noch nicht gewollt hatte?

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Emotionen waren immer schon ein beträchtlicher Teil von Wahlentscheidungen; das gesamte sinnentleerte Plakate-Kleben vor Wahltagen beruht darauf. Mittlerweile aber muss bei einem Großteil der Wähler der Verstand vor Wahlentscheidungen völlig ausgeschaltet sein und es regiert die pure Emotion.

So wird der (relative) Erfolg der AfD gern damit erklärt (Verstand!), dass sich die Bundesregierung permanent streite, was die Wähler abschrecke. In Bayern hat die AfD in fünf Jahren Landtag überhaupt nichts anderes getan als sich gestritten, und zwar ohne Koalitionspartner, nur untereinander – und dennoch hat sie enormen Stimmenzuwachs zu verzeichnen.

4,4 Prozentpunkt Stimmenzuwachs, der stärkste aller Parteien bei der Landtagswahl, und Platz 3 in der Wählergunst für eine Partei, die in Bayern kein bekanntes Gesicht, kein Ziel und keinen Plan hat und in fünf Jahren Landtagsarbeit keine Initiativen oder Erfolge vorweisen kann und sich stattdessen permanent streitet und gegenseitig ausschließt. Warum soll ein CSUler oder ein Grüner eigentlich noch Arbeit leisten im Landtag?

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Die Sitte, Wahlergebnisse am Wahlabend abzufeiern wie die Bundesliga (wer hat gewonnen, wer verloren? wer hat wo Prozentpunkte liegen gelassen?), lässt regelmäßig den eigentlichen Sinn der jeweiligen Wahl aus: Was bedeutet die Wahl für das Land?

Diskutiert wird nun, was das Ergebnis für die Chancen von Markus Söder auf eine Kanzlerkandidatur bedeutet, was es als Ausgangsbasis zur Europawahl 2024 bedeutet und (in Hessen) ob Nancy Faeser Bundesinnenministerin bleibt. Dafür sind wir wählen gegangen?

Dieses Wahlergebnis wird für Bayern exakt nullkommanull verändern. Ob jetzt 38 oder 32 Grüne im Landtag sitzen, ist für die Entwicklung Bayerns völlig irrelevant. Und ob jetzt die FW der CSU ein Ministerium abnimmt, ebenso; kann jemand CSU und FW noch unterscheiden?

Die einzige Veränderung wird sich für zehn belanglose Gesichter ergeben, die nun auf AfD-Ticket ohne Sinn und Verstand mehr in den Landtag rutschen und dort für die nächsten fünf Jahre vom Steuerzahler üppig alimentiert werden und dann eine fette Altersversorgung mitnehmen. Dafür, dass sie nichts einbringen, nichts bewirken und sich ausschließlich untereinander streiten. Seltsam, dass Wähler, die für Flüchtlinge jeden Cent verschwendet sehen, diesen Nullnummern ihr Geld freudig hinterherwerfen.

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Das Kreisen von Polit- und Medienbetrieb in der immergleichen Blase der Selbstbezogenheit verhindert auch zuverlässig die Auseinandersetzung mit dem realen Wahlergebnis. Trotz der weltumspannenden Bedeutung jedes einzelnen Kandidaten sind auch bei dieser Wahl wieder mehr als Viertel der bayerischen Bürger überhaupt nicht Wählen gegangen.

Formal ist es völlig korrekt, diese Nichtwähler zu ignorieren, denn wer nicht abstimmt, verwirkt sein Mitwirkungsrecht. Allerdings sind es ein Viertel der bayerischen Menschen, die diese Option für sich gewählt haben. Ich kann jemand, der gar nicht wählen geht, kaum für dümmer oder verwerflicher halten als jemanden, der aus diffusem Protest Neonazis wählt.

Eine Wahlgrafik mit allen bayerischen Menschen vom 8. Oktober sähe so aus:

Zählt man jetzt die Nichtwähler, die AfD-Wähler und einen Teil der Wähler sonstiger Parteien zusammen, ergibt das weit über ein Drittel der Menschen in Bayern, die mit dem Angebot des hergebrachten Politgeschehens unzufrieden sind.

Ob das vielleicht mal ein politisches Thema wäre?

(weitere Mails aus Eching)

Ein Lesermail

  1. Sehr gut analysiert, s. g. Herr Bachhuber!

    All denjenigen, die der AfD oder den Freien Wählern ihre Stimme gegeben haben, will ich mit folgenden Zitaten von Albert Einstein und Bertolt Brecht begegnen:

    Einstein: „Das Weltall und die Dummheit der Menschheit sind unendlich. Bei Ersterem bin ich mir nicht ganz sicher.“

    Brecht: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“

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