‚Lebensmodelle‘ neu denken

Mit dem Bürgerentscheid und seinem klaren Ergebnis ist der Umgang mit dem Wohnbaumodell der Gemeinde aktuell geklärt, die nächsten Neubaugebiete werden auf dieser Basis gerade abgewickelt.

Aber ist damit die Debatte um zukunftsträchtiges Wohnen und den nötigen Wohnraum beendet?

Ausgehend von Gesprächen im Ortsvorstand der SPD hat Werner Schefold, Professor der Sozialwissenschaften, für die echinger-zeitung.de Thesen zu einer zukunftsträchtigen Sichtweise aufgestellt – Diskussion jederzeit erwünscht!

In der Diskussion der Parteienvertreter im Bürgerhaus um den Bürgerentscheid und das Ratsbegehren hat Herr Bartl von der CSU mehrfach betont, dass die Kaufoption einem „Lebensmodell“ entspräche und deswegen zu erhalten wäre. Dieser Aspekt verdient es, weiter betrachtet zu werden.

Umso mehr, als wohl viele Stimmen für den Erhalt der  Kaufoption von Überzeugungen wie „Wahlrecht“, Wert des Eigentums, Freiheit geleitet waren – wie sie auch von den Initiatoren des Bürgerentscheids angeführt wurden. 

Lebens- oder Generationenmodell?

„Lebensmodell“ – das bedeutet zunächst, im eigenen Haus, Doppelhaushälfte, Reihenhaus auf eigenem Grund und Boden leben zu können – wie dies viele in Eching tun. Nun können auch Bürger, die nach Erbbaurecht gebaut haben, im eigenen Haus leben. Das Erbbaurecht garantiert ihnen für 75 Jahre den Grund, gegen Pacht, dafür ohne Zins noch Tilgung für das Kapital für den Kauf.

Das „Lebensmodell“ greift also kaum für das eigene Leben; es greift als Modell für mehrere Generationen. Das zeigt seine Herkunft aus bäuerlichen Lebensweisen, in denen Generationen nacheinander den Hof bewirtschaften oder vererbten Grund in der Nähe bebauen.

Dies betrifft auch Lebensweisen von Handwerkern, Kaufleuten mit einem eigenen Geschäft und andere. Sesshaftigkeit ist dafür eine Voraussetzung. Das Lebensmodell hat so mit Erwerbsarbeit, genauer der Lokalisierung der Erwerbsarbeitsplätze zu tun.  

In unserer Gesellschaft der „zweiten Moderne“ ist dieses Lebensmodell immer mehr in den Hintergrund gerückt. Wessen Kinder und Enkel leben noch an dem Ort, an dem sie aufgewachsen sind? Es wäre für Eching interessant zu wissen.

Normal ist wohl Mobilität zwischen den Generationen: Die Kinder und Enkel arbeiten und leben nun anderswo, dort, wo es gute Arbeitsplätze gibt. Und müssen mobil bleiben, um den technologischen und ökonomischen Entwicklungen der Arbeit folgen zu können. 

So wird das „Lebensmodell“ des „eigenen Hauses auf gekauften Boden“ ein Mehrgenerationen-Lebensmodell, für die meisten wohl nolens volens ein „Inter-Generationen-Geschäftsmodell“ – man verkauft das geerbte Anwesen und setzt sich irgendwo anders fest.

Im Grunde gerät das „Lebensmodell“ so zu einem „Intergenerationen-Geldanlagemodell“.

Gegen Sparen, Geld Anlegen, Vererben ist überhaupt nichts zu sagen – welche Familie täte dies nicht (klar: die Millionen, bei denen nichts übrig bleibt). Aber muss man sich dabei der hohen Dynamik des Bodenmarktes bedienen? Davon profitieren, dass andere die horrenden Preise für Grundstücke zahlen?

Man „spart“ – oder gewinnt – viel Geld auf Kosten anderer hinzu. Wenn man einfach auf den Markt geht, ist und bleibt dies Privatsache. Aber soll man dies durch die Möglichkeit (für wenige), begünstigtes Bauland zu kaufen, öffentlich fördern?

Der Kernbegriff „Leben“ im „Lebensmodell“ führt aber noch zu Stichworten wie „Lebensweisen“, „Lebensqualität“. Sie betreffen alle, nicht nur die Nutznießer des Kaufmodells: die Gemeinde, die Gesellschaft, unsere Zukunft. Der Reihe nach.

Landverbrauch und Klimafolgen

Das Kaufmodell zwingt eine Gemeinde dazu, immer mehr Land zu versiegeln, wenn sie ihr Angebot an begünstigtem Bauland aufrechterhalten will. Dies ist angesichts der aktuellen Wohnungsnot wohl zwingend, neben anderen noch sinnvolleren Maßnahmen.

Jedes begünstigte Baugrundstück verschwindet mit dem Verkauf aus der Summe der Grundstücke, die einer Gemeinde für diese Art der Förderung von Wohnungsbau zur Verfügung steht; es landet früher (nach Ablauf der 15 Jahre Sperrfrist) oder später auf dem freien Markt – zu den bekannten Preisen. Dann muss die Gemeinde wieder Land kaufen, in Bauland umwandeln – der Landverbrauch geht weiter. Im Erbbaurechtsmodell käme das Grundstück wieder anderen als begünstigtes Bauland zugute. 

Aber das ist noch das kleinere Problem. Alle, die bei klarem Verstand sind, wissen, dass alle Politik, auch und gerade die kommunale Politik, heute unter dem Primat des Kampfes gegen die Erderwärmung mit all ihren katastrophalen Folgen steht. Da muss nun endlich Entscheidendes geschehen.

Dazu gehört die Art und Weise, wie wir unsere Wohnungen und Häuser bauen, uns mit Energie versorgen. Die Wohnungen und Häuser auch in Eching werden weitgehend mit fossilen Energien – Gas und Öl – versorgt. Das hinterlässt gewaltige CO2-Fußabdrücke, die nicht mehr zu verantworten sind.

Lösungen? Statt der Gas- oder Erdölheizungen in jedem Haus Solarenergie, Wärmepumpen? In den neuen ohnehin, aber in den alten? In jedem Haus eigene Anlagen? Ist das realistisch, bezahlbar, sinnvoll?

Viele Erfahrungen zeigen, dass hier gemeinsame Lösungen sinnvoll, notwendig, aber auch schwierig sind: Aus sozialen Gründen (weil wir eben gern „Herr“ im eigenen Haus sind); aus technologischen Gründen. Aber sie sind zwingend: zum Beispiel eine Wärmepumpe für eine Reihenhauszeile mit sechs Häusern etc.

Unsere traditionellen Haltungen müssen wir jetzt im Interesse unserer Kinder und Enkel überwinden. Gemeinsame Lösungen sind gefragt.  

Gemeinschaftliche Lösungen

Was hat das mit der Kontroverse „Kaufmodell“ vs. „Erbbaumodell“ zu tun?  Dem Erbbaumodell liegt die Einsicht zugrunde, dass Grund und Boden ein öffentliches Gut, ein Gemeingut ist; dass wir zur Bewirtschaftung des Bodens wie der Wohnstätten, zur Gestaltung unseres Lebens gemeinsame, gemeinwirtschaftliche Lösungen brauchen: öffentlich angestoßene und geförderte Lösungen für Energie, also Wärme etc.

Nur sie ermöglichen uns, auch weiterhin ein selbständiges Leben zu führen. Und warum dann den Boden noch verkaufen anstatt ihn auf Lebenszeit zu verpachten und dann auch die öffentlichen Investitionen dabei an andere, an kommende Generationen weitergeben?

Erbbaurechtsland als ein Gemeingut, Hand in Hand mit gemeinsamen Lösungen für Energie etc. wäre ein guter Weg in die Zukunft. Dieser Weg wird uns allen auch noch oft bescheren, dass schon gemachte allgemeine Zusagen wieder kassiert werden. Ohne radikales Umdenken wird unsere Erde nicht zu bewahren sein. 

Die Diskussion in Eching um zukunftsträchtiges Wohnen und um die dringende Wohnraumbeschaffung ist mit dem Bürgerentscheid nicht zu Ende. Sie verträgt auch noch viele nachhaltigere Argumente; wird weiter Fahrt aufnehmen. Und dabei geht es um „Lebensmodelle“ – in der ganzen Tragweite des Begriffs.

Und die „Freiheiten“ des Kaufens, des Habens? Sie bleiben, werden sich aber immer mehr mit der „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“ (G.F.W. Hegel) vertragen müssen.

Dr. Werner Schefold

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